OFFIZIELLES ORGAN DES ZENTRALKOMITEESDER KOMMUNISTISCHEN PARTEI KUBAS
Alicia neben Viengsay Valdés. Photo: Nancy Reyes

Sobald Alicia Alonso wusste, dass der Tyrann von der Rebellenarmee gestürzt worden war, wollte sie aus den USA, einem Land, in dem sie bereits eine sehr hohe künstlerische Hierarchie einnahm, nach Havanna zurückkehren. Dies konnte sie jedoch nicht sofort tun.

„Ich hatte mich vor den Genossen der revolutionären Bewegung für den 1. Januar 1959 dazu verpflichtet, in Chicago in ein Fernsehstudio zu gehen, um die öffentliche Meinung über die Gefahr der zunehmenden Unterdrückung der kubanischen Jugendlichen durch die Schergen von Fulgencio Batista zu informieren, deren kriminelle Praktiken in dem Maße zunahmen, in dem das Regime Boden unter den Füßen verlor“, sagt die außergewöhnliche Künstlerin bei der Erinnerung an diese Geschehnisse ein halbes Jahrhundert danach.

„Ich war sehr früh am Morgen fertig, als mir jemand sagte: Batista ist geflohen, die Rebellen sind in Santiago, die Tyrannei ist vorbei. Ich spürte etwas sehr Großes in mir, so als wäre ganz Kuba in meiner Brust.“

Mit Alicia ist das Gespräch flüssig. Sie findet schnelle Antworten auf jede Frage, weiß aber, wie man Worten Gewicht beimisst. Wenn sie eine Information benötigt, wendet sie sich an ihren Partner Pedro Simón, ein renommierter Literaturkritiker und -forscher und derzeit Direktor des Tanzmuseums. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, dass es unmöglich ist, in einem schriftlichen Interview die Bewegung von Alicias Händen festzuhalten. Viele ihrer Kommentare werden von Gesten, Akzenten und körperlichen Pausen begleitet, mit denen sie eine Einschätzung hervorhebt oder abschwächt. Sie hat ein außergewöhnliches Gedächtnis.

- Wann konnten Sie endlich in das Vaterland zurückkehren?

–Am 11. Januar. Es tat mir sehr leid, den Einzug der bärtigen Männer in Havanna verpasst zu haben. Aber seitdem ich wusste, dass die Heimat befreit worden war, packte ich meine Koffer, um bei der ersten Gelegenheit abzureisen.

- Wussten Sie bereits damals, dass eine neue Ära für Ihr Volk und insbesondere für Ihre künstlerische Zukunft eingeläutet wurde?

-Ich war zuversichtlich, dass etwas Gutes und Großes passieren musste. Ich möchte Ihnen sagen, dass wir, noch bevor die Rebellenarmee die Kräfte der Tyrannei besiegte, den Kämpfern der Sierra Maestra ein sehr umfassendes Projekt darüber schickten, was aus dem Ballett in den kommenden Zeiten werden könnte. Der Überbringer war ein Freund von uns und ein großer Tanzkenner, ein sehr kultivierter und gleichzeitig sehr revolutionärer Mann, Dr. Julio Martínez Páez, der in der Sierra den Rang eines Kommandanten erlangte.

- 1956 hatten Sie sich von Ihrem Publikum auf der Insel verabschiedet und gesagt, dass Sie nicht mehr hier tanzen würden, bis sich die politische Situation im Land geändert hätte.

- Das war eine Position der Prinzipien nicht nur von mir, sondern auch von allen meinen Kollegen. Batista wollte über einen Herren, der die offizielle Kulturinstitution leitete, das Prestige des Kubanischen Balletts, das ich leitete, ausnutzen, um das schlechte Ansehen seiner Regierung auszulöschen. Sie wollten uns erpressen, indem sie uns einen lächerlichen staatlichen Zuschuss vorenthielten. Und er bot mir individuell, da die Öffentlichkeit mich sehr respektierte, eine Art Lebensrente an. Da ich nicht darauf eingegangen bin, zog er den Zuschuss zurück. Der Herr, der diese Einrichtung leitete, Guillermo de Zéndegui, ein Mann, der dem Anschein nach außerordentlich vornehm war, erklärte, ich hätte einen schrecklichen Fehler: Ich sei Kommunistin.

–Kehren wir zu 1959 zurück. Die Revolution siegt und Sie starten Ihre Karriere bei uns. Unter welchen Bedingungen geschah dies?

- Die Erregung jener Anfangszeiten spiegelte sich schnell in unserem Arbeitsgeist wider. Außerdem hatte ich die Freude, dass der Traum, das Ballett als eine der wichtigsten kulturellen Ausdrucksformen in die neue revolutionäre Realität zu stellen, sehr bald in Erfüllung ging.

- Welche Rolle spielte Fidel Castro dabei?

-Im selben Jahr 1959 kommt eines Tages Kapitän Antonio Núñez Jiménez und sagt mir: „Sie haben einen Besucher“. Es war Fidel. Es war unglaublich für mich, dass der Kommandant inmitten so vieler Aufgaben Zeit fand, um mit uns zu sprechen. Er ging sofort auf die Sache ein, fragte uns danach, was wir benötigten und gab uns seine volle Unterstützung. Fidel ist ein außergewöhnliches Wesen: Er machte sich unsere Ideen schnell zueigen und bereicherte sie. Beim ersten Treffen mit ihm wurde mir klar, dass Fidel die Bedeutung der künstlerischen Kultur und insbesondere des Balletts für die Revolution erkannte und viele, auch uns, dazu brachte, diese Idee zu verstehen.

- Kann man bestätigen, dass ab jenem Moment die Idee einer kubanischen Ballettschule echte Gestalt annahm?

- Die Vorstellung davon war immer in unserem Gemüt gewesen, praktisch seitdem ich mit dem Tanzen anfing, und später dann, am 28. Oktober 1948, gründeten wir die Compagnie, die heute Nationalballet Kubas heißt. Sechzig Jahre sind eine kurze Zeit in der Geschichte. Das Unglaubliche ist, in so kurzer Zeit so viel getan zu haben. Stellen Sie sich vor, was das bedeutet: Eine kleine Insel, deren Erbe die Unterentwicklung ist und eine weltweit anerkannte Schule hat. Und dann die Tatsache, dass es keine Schule für eine Elite ist, sondern sie gehört einem ganzen Volk, mit Lehrern und Tänzern, die aus dem Volk hervorgegangen sind und einem sehr breiten und vielfältigen Publikum. Hören Sie, das ist etwas Fabelhaftes, das es sonst nirgendwo gibt, das kann ich versichern! Aber die Wahrheit muss gesagt werden: Die Schule ist das Werk der Revolution.

- Wie wird die Kontinuität dieser Arbeit sichergestellt?

–Die Revolution hat ein System der künstlerischen Ausbildung geschaffen, in dem das Ballett einen privilegierten Platz einnimmt. Wir haben eine in der Welt hoch angesehene Tanzpädagogik entwickelt. Junge Menschen, die Talent haben und sich anstrengen, haben Möglichkeiten, etwas zu erreichen. Und heute verfügen wir über eine großartige Einrichtung, die Nationalschule.

- Wie bewerten Sie den internationalen Einfluss der Schule?

- In Iberoamerika war er enorm. Es gibt viele Schüler, die zu uns gekommen sind und ständig bittet man uns um Lehrer.

Wogegen mussten Sie am meisten kämpfen, um Ihren Vorstellungen vom Tanz den Weg zu bahnen?

– Zu Beginn, in den Vereinigten Staaten, herrschte das Stigma, dass Latinos nur für die Folklore geeignet waren. Ich habe Leute getroffen, die sagten, dass unsere Körper nicht für klassischen Tanz geeignet seien. Diese Vorurteile wurden überwunden. Und ich spreche nicht nur von Kubanern, in Lateinamerika und Spanien haben sich wunderbare Tänzer entwickelt. Ich sage Ihnen noch mehr: die Vorurteile betrafen sogar die US-Amerikaner. Man glaubte, nur wenn man Russe oder auf jeden Fall Europäer sei, habe man Zugang zu hervorragenden Leistungen im Ballett. Es gab sogar Tänzer, die ihren Nachnamen änderten, um für Russen gehalten zu werden.

– Als Tänzerin haben Sie auf Ihrem Weg eine Legende verkörpert. Aber Sie sind auch eine gestandene Choreografin. Wie führen Sie die Schöpfung in diesem Bereich aus?

–Ich habe immer gerne für die Szene kreiert. Sogar in meiner Zeit als Tänzerin habe ich diese Berufung immer gepflegt. Ich sehe die komplette Choreografie in mir. Ich erkläre meinen Mitarbeitern nicht nur die Bewegungen, sondern auch, wie ich die Szene verstehe, was die Gesten sind, was ich mit jedem der Elemente vorhabe, die in der Szene ins Spiel kommen. Ich tanze nach meinen Choreografien, das ist eine Form, weiter zu tanzen. Früher habe ich das als Tänzerin genossen, heute mache ich es mit den anderen. Und ich schwöre, ich verfolge und fühle jede Bewegung, die Emotionen jedes Charakters. Am Ende einer Vorstellung bin ich erschöpft, als wäre ich die ganze Zeit auf der Bühne gewesen.

- Möchten Sie den schöpferischen Prozess an einem Beispiel veranschaulichen? Sagen wir, ausgehend von Lucia Jerez, über die Erzählungen von José Martí.

–Dieses Ballett war der Feier zum 400-jährigen Bestehen der kubanischen Literatur gewidmet. Also mussten wir von einem literarischen Original ausgehen und am besten mit etwas so Herausforderndem wie einem Werk von Martí, seinem einzigen Roman (...). Es ist eine aufregende Geschichte, bei der keine Geringere als Fina García Marruz, die ich als eine der größten kubanischen Dichter betrachte, ein Libretto für Ballett schrieb. Dieses Libretto war ein Ausgangspunkt mit einem sehr sensiblen poetischen Gehalt, der in die Sprache der Bewegung übersetzt werden musste. Ein junger Mitarbeiter, José Rodríguez Neira, erstellte seinerseits eine Version des Librettos, mit dem wir uns an die Arbeit machten, um Martís Idee im Tanz zum Leben zu erwecken, indem den Gesten Sinn verliehen wurde. Gleichzeitig stellte sich das Problem, welche Musik zur Choreografie passte, und auf der Suche fand ich eine Partitur von Enrique González Mántici, ein bereits verstorbener sehr bedeutender Komponist und Dirigent, den wir bewundern. Und ich entdeckte, dass sie speziell für diese Arbeit geschrieben zu sein schien.

- Beeinträchtigt Sie persönlich die aggressive Haltung der Regierungen der USA gegenüber der kubanischen Revolution?

Ich glaube, dass genauso sehr oder mehr als unseres das amerikanische Volk selbst das Hauptopfer ist (...). Als ich einen Brief an die amerikanischen Künstler und Intellektuellen richtete, erwartete ich keine so breite und schnelle Reaktion. Ich denke, er hat dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit zu schärfen, kulturelle Bindungen wiederzubeleben, die auf der Achtung unseres Rechts beruhen, zu existieren und unser Schicksal zu bestimmen. Ich weiß, das ist nicht genug, aber zumindest hat er ein Fenster geöffnet.

- Fühlen Sie sich stolz, in Kuba zu leben?

- Einen unermesslichen Stolz. Vor allem, weil ich den Sinn der Würde teile. Hier arbeiten wir, um dem Land zu dienen, als Menschen zu wachsen, inmitten großer Schwierigkeiten, aber voller Vertrauen in die Zukunft.

- Was erwarten Sie jetzt noch vom Leben?

–Alles!

Hinweis: Dieses Interview ist Teil des Buches Como el primer día.