
Es ist 22 Uhr auf der Freitreppe der Universität von Havanna. Die von Tausenden von Händen gehaltenen Fackeln lassen die Skulptur der Alma Mater größer und heller erscheinen als je zuvor.
Das Bild von José Martí auf der rechten Seite, an dem jetzt die Menge vorbei nach unten geht, erwacht zum Leben. Die Schwarz- und Grautöne wie wir sie von den Fotos kennen, die zu seinen Lebzeiten gemacht wurden, verschwinden und das Gesicht Martís wird von dem Rot, Orange und Gelb des Feuers erleuchtet.
Ich schreibe dies inmitten der Menge und unter dem Druck, dass bald Redaktionsschluss für diese Ausgabe der Granma ist.Ein Kind auf den Schultern seines Vaters zieht vorbei, das geblendet von so viel Licht das Bild betrachtet. In der Hand hält es eine aus Blech und Holz selbst angefertigte Fackel. „Wir wohnen hier in der Nähe und ich bringe ihn hierher, seit er ein Baby war. Aber selbst wenn wir früher nicht gekommen wären, hätten wir es dieses Mal nicht versäumt. Martí anzugreifen ist so, als ob man Angehörige meiner Familie angreift, die lebenden und auch die toten“, sagt der Vater Alberto Torres.

Martí lebt, ruft die Menge im Chor. Der Mann, der „kam, um Größe zu bringen“, wie es der kubanische Schriftsteller José Lezama Lima beschrieb, konnte in diesem Jahr 2020 mehr Menschen um sich versammeln als je zuvor. Sein Bild in Blut zu baden war ein pathetischer Versuch der anti-kubanischen Rechten über den Hass eine politische Richtungsänderung zu erreichen. „Ein Symbol anzugreifen, weist auf Verzweiflung hin. Martí anzugreifen zeigt außerdem tiefe Unwissenheit“, sagt der Schriftsteller Luis Toledo Sande.

Die Wirkung, die sie erzielten, war eine absolut andere als die erhoffte. In dieser Nacht, an den Füßen der Freitreppe der Universität und wenige Tage, nachdem ein paar Männer des Geldes wegen einige Büsten des Apostels schändeten, steht José Martí aufrecht, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Es ist dies das 1892 von einem nach Jamaika emigrierten Kubaner aufgenommene Foto, das Cintio Vitier, der sein Leben dem Studium des Werkes von Martí widmete, sagen ließ: „Aufrecht im feindlichen Sumpf, immer gekleidet wie in Trauer und das Antlitz Licht ausstrahlend, blickt er heimlich auf uns, und mit seltsamer Ferne und inniger Leidenschaft fordert er immer mehr von uns“.

Der Wunsch das Gute zu tun, und es auch wirklich zu tun, sei die herausragendste Tugend des Apostels gewesen, fügte der Autor des Buches Ese sol del mundo moral (Diese Sonne der moralischen Welt) hinzu. Und in dieser Nacht stellen die jungen Leute, die Kinder, die Menschen jedes Alters, die Hunderttausende, die über die Straße San Lazaro in Havanna zur Fragua Martíana marschierten (dem Steinbruch, in den das spanische Kolonialregime alle Kubaner schickte, denen es Untreue vorwarf und wo der junge Martí als Gefangener die Grausamkeiten der Zwangsarbeit erfuhr) unter Beweis, dass sie auf Hass mit Güte reagieren, wie dies Martí im Laufe seines Lebens so oft getan hat.

„Das Gute tun“ Martís reicht bis in unsere Tage“, erklärt der Professor der Universität von Las Tunas Recaredo Rodríguez Bosch. „Das ist heute, in einer so aufgewühlten Welt, mit so vielen Problemen und so vielen Menschen, die nur mit dem Materiellen beschäftigt sind, ein Auftrag; da ist er, um uns das Gute zu lehren und uns zu besseren Menschen zu machen“.
„Wir brauchen Martí sehr“, fügt der Direktor der Kritischen Ausgabe des Gesamtwerks Martís Pedro Pablo Rodríguez hinzu. „Er lehrte uns, auch wenn wir zu einem Zeitpunkt Erschöpfung verspüren sollten, das Leben immer neu wiederaufzunehmen, ohne den Glauben an den menschlichen Geist zu verlieren“.

Es ist 22 Uhr und es ist der Moment, in dem die Freitreppe der Universität von Havanna am Vorabend des 167. Jahrestag der Geburt José Martís ein beeindruckendes Bild vermittelt. Die unruhigen Fackeln, die Rauchwolken am Himmel, die sichtlich bewegten Menschen, die Feierlichkeit, die mit dem Jubel der jungen Leute zusammentrifft... er ruft zu dieser Stunde mit größerer Kraft als je zuvor zusammen und wie in seinen Versen beschrieben: Was die Last des Kreuzes angeht/ Der Mensch befreit sich von ihr beim Sterben/ Geh hinaus um das Gute zu tun, tue es und komm zurück, wie ein Lichtstrahl“.
Der Marsch wurde einmal mehr angeführt vom Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas, Armeegeneral Raúl Castro Ruz, dem einzigen der dort Versammelten, der bereits beim ersten Fackelmarsch dabei war, zu dem vor 67 Jahren am 27. Januar 1953 aufgerufen wurde. Jener erste Marsch, der die Tradition prägte, war eine mutige Aktion der Revolutionäre, die auf die Straße gingen, um dem Apostel die Ehre zu erweisen, ohne auch nur einen Moment des Zauderns vor den Schergen des Diktators Fulgencio Batista. Heute wollen die vielen Menschen die Anstand besitzen vor Martí für diejenigen Abbitte leisten, die diesen nicht besitzen, um es mit den Worten des Apostels zu umschreiben.

Zusammen mit den jungen Leuten und dem Volk waren in dieser gewaltigen Menge auch der Präsident der Republik Miguel Díaz-Canel Bermúdez, der Zweite Sekretär der Partei José Ramón Machado Ventura, Premierminister Manuel Marrero und andere Mitglieder der Führung des Landes anwesend.
„Martí wird niemals allein sein. Die Erinnerung an ihn wird nicht ausgelöscht und auch nicht befleckt werden“, sagte die Abiturientin Amanda Martínez. Ich würde noch gerne noch weiter Eindrücke sammeln, wenn meine Zeitung mich nicht drängen würde.