OFFIZIELLES ORGAN DES ZENTRALKOMITEESDER KOMMUNISTISCHEN PARTEI KUBAS

Wenn ich an Konferenzen in Europa teilnehme, fragt man mich, wie es zu erklären sei, dass die brasilianischen Wähler einen Mann zum Präsidenten der Republik wählen konnten, der ein offenkundiger Verfechter der Folter, der Homophobie, des Paramilitarismus, des Machismo und der Diktatur ist. Wie kann man verstehen, dass die Mehrheit für einen Kandidaten gestimmt hat, dem es wichtiger ist, die Bevölkerung zu bewaffnen als die soziale Ungleichheit zu reduzieren.

Warum haben die Wähler nicht auf Haddad, Alckmin, Meirelles, Ciro Gomes oder Álvaro Fernandes Dias gesetzt?
Meine Antwort darauf lautet immer „fragen Sie die Geschichte“. Auf die greife ich zurück. Wie war es möglich, dass nach 15 Jahren des Neuen Staates (1930-1945), Vargas, der ein diktatorisches Regime anführte, das sich durch schwere Unterdrückung, Pressezensur und die Verkündung einer faschistischen Verfassung auszeichnete, 1950 demokratisch zum Präsidenten gewählt wurde?

Wie ist es zu erklären, dass das Land von Kant, Beethoven, Bach, Goethe und Einstein sich einen Rassisten und Völkermörder aus Österreich ausgesucht hat, um sich von ihm regieren zu lassen? Und das Italien von Dante Alighieri, Machiavelli, Da Vinci und Michelangelo einen Faschisten wie Mussolini?
Die Wähler wählen nicht immer mit Vernunft. Viele lassen sich von ihren Gefühlen leiten. Unzufrieden mit den Dingen, wie sie sind, optieren sie für die andere Seite in der Hoffnung, dass sich wie durch Zauberei alles zum Besseren wende. Oft wird die Stimme nicht für einen Kandidaten abgegeben, weil er die Gunst der Wählerschaft genießt, sondern weil er alles kritisiert und verspricht es zu bekämpfen, wie das 1960 bei der Wahl von Jânio Quadros zum Präsidenten der Fall war. Mit dem Besen als Symbol seiner Kampagne versprach er die Korruption und die Korrupten aus Brasilien hinwegzufegen... Ähnlich wie Collor, der sich 1989 die Bezeichnung „Jäger der Maharadschas“ gab.

Es herrscht eine kräftige Dosis an Irrationalität bei jenen, die gegen dies oder jenes stimmen und die von Hass oder Rachsucht angetrieben werden.Während sie auf der einen Seite ihre Feinde dämonisieren, schaffen sie einen Mythos um den von ihnen bevorzugten Kandidaten, so als ob es in der Politik keine demokratischen Institutionen gäbe und alles nur vom persönlichen Willen des Auserwählten abhinge. Diese Wähler stimmen nicht für ein Projekt von Nation und für konsistente Programme, sondern gegen jene, die nach Meinung ihres Auserwählten für das Böse stehen.

In Brasilien haben die Reduzierung der Zeit für politische Kampagnen, die Einschränkungen bei Treffen und bei der Wahlpropaganda dazu geführt, dass die Kandidaturen sich nicht positiv auf die Fortbildung der Wähler und die politische Bildung auswirken.

Die Reflexion des Bürgers, die demokratische Debatte, die Auswertung der Kandidaten und ihrer Programme werden so von einem Klima der Rache verdrängt.

Fragen Sie die Geschichte, wer die Wahlen gewinnt und sie wird ihnen sicher antworten, dass dies nicht notwendigerweise die besten sind, sondern jene, die in der Lage sind, als Magnet für die Unzufriedenheiten und Frustrationen der Bevölkerung zu dienen. In Ländern, die sich in einer Krise befinden und denen das historischen Bewusstsein als Nation fehlt, suchen die Wähler keine Lösung sondern eine Rettung. Sie sind schon kein Volk mehr, sie bilden eine Masse.

„Die Masse ist außerordentlich beeinflussbar, leichtgläubig, unkritisch; für sie existiert das Unwahrscheinliche nicht. Sie denkt in Bildern, von denen eines das andere hervorruft, wie bei einem Individuum in einem Zustand freier Assoziation, dessen Übereinstimmung mit der Realität sich nicht an einer vernünftigen Instanz misst. Die Gefühle der Masse sind immer sehr einfach und überschwänglich. Sie kennt weder Zweifel noch Unsicherheit. Sie geht schnell in Extreme über. Der geäußerte Verdacht verwandelt sich sofort in unbestreitbare Gewissheit. Ein Keim von Antipathie wird zu wildem Hass.

Wer sie zu beeinflussen wünscht, braucht nicht nach logischen Argumenten zu suchen; er muss starke Bilder malen, übertreiben und immer denselben Diskurs wiederholen.

Die Masse hat keinen Zweifel daran hat, was richtig oder falsch ist; sie ist sich ihrer enormen Kraft bewusst und gleichzeitig intolerant und autoritätsgläubig. Sie respektiert die Stärke und lässt sich nur mäßig von der Güte beeinflussen, die sie als eine Art von Schwäche betrachtet. Was sie von ihren Helden fordert ist Stärke, sogar Gewalttätigkeit. Sie möchte beherrscht und unterdrückt werden, sie möchte ihre Herren fürchten. Im Grunde empfindet sie, konservativ wie sie ist, eine tiefe Abneigung gegen jeglichen Fortschritt und jede Innovation und eine unbegrenzte Achtung vor den Traditionen.“ (Freud, Psychologie der Massen und Analyse des Ich, 1921)