Die Tragödie hat als wesentliche Komponente die Schicksalhaftigkeit eines schrecklichen und unausweichlichen Ausgangs. Für Griechenland, in dem Aufsehen erregenden Fall der öffentlichen Verschuldung? Nein, nicht für Griechenland sondern für Deutschland, ein Land, dessen Führung dafür prädestiniert scheint am laufenden Band historische Katastrophen zu produzieren. Zwei Weltkriege im zwanzigtsen Jahrhundert und jetzt, treu seiner düsteren Geschichte, eine Wirtschaftskatastrophe, die in Griechenland, als schwächstem Glied der Kette begann, von der aber niemand weiß wo sie endet. Das sind die Tatsachen: Am Montagmorgen überbrachten die Finanzminister der Regierungen der Eurozone eine bedingungslose Kapitulation im Wirtschaftskrieg und der laufenden Politik. Dem finnischen Finanzminister Alexander Stubb fiel die unehrenhafte Rolle zu, die Kapitulationsklauseln bekanntzugeben, die ihm von den deutschen Bankern vorgegeben wurde und die ihre Mentoren mehr als ihre Opfer mit Schande bedeckt. Vor der Presse erklärte er, dass seine Kollegen übereingekommen seien, von Griechenland drei Maßnahmenkomplexe zu fordern, die sofort anzuwenden seien: „ Nummer eins, es muss die Gesetze bis zum 15. Juli durchsetzen. Nummer zwei: Harte Konditionen bei Arbeitsreformen, Pensionen, Mehrwertsteuer und Steuern z.B und Numme drei: Ebenfalls ziemlich harte Maßnahmen z.B. bei Privatisierungen und Privatisierungsfonds.“
Wenige Male in der Geschichte war ich Zeuge eines solch infamen Aktes wie diesem, bei dem eine Gruppe von Banditen in Anzug und Krawatte beschließt ein unabhängiges Land in eine indigene Kolonie der Troika zu verwandeln, die heute faktisch Europa regiert zum Preis eines Endes der europäischen Demokratie. Für den Nobelpreisträger für Wirtschaft Paul Krugman ist diese dreiste Initiative, die unter der Eingebung der Wachhunde des neoliberalen Gedankenmodells getroffen wurde, außerdem ein Schachmattzug für das europäische Projekt. Vom Gesichtspunkt der Wirtschaftspolitik aus ist die von den Euro Finanzministern ausgearbeitete Liste von Forderungen, schlicht und einfach „verrückt“.Es ist so, als ob man dem Markt einen brutalen Schlag versetzt hätte – eine Variante der Soft Power? – die weit über eine normales Programm der wirtschaftlichen Anpassung hinausgeht. Aber da ist noch etwas, das Krugman nicht entgeht: diese bedingungslose Niederdrückung ist ein Akt „purer Rachsucht, der zur völligen Zerstörung der nationalen griechischen Souveränität führt, ohne jegliche Hoffnung auf Erleichterung oder Rettung“. Im Grunde ist es ein Vorschlag, den keine Regierung Griechenlands (oder irgendeines anderen unabhängigen Landes) akzeptieren kann ohne in einen unverantwortlichen neokolonialen Status zurückzufallen. Außerdem wird, wenn man das von Brüssel geschickte Rezept annimmt, sich die griechische Wirtschaft nicht verbessern.
Wenn wir etwas wissen ist es das, dass man aus einer Krise, wie sie heute Griechenland heimsucht, nicht mit größerer Anpassungsmaßnahmeb herauskommt. Es ist, ich zitiere „ein grotesker Verrat all dessen für das das Projekt Europa seine Daseinsberechtigung hat“.
Der Eindruck, der sich dem Beobachter dieses harten Verhandlungsprozesses zwischen Griechenland und einer unverantwortlichen und antidemokratischen Struktur transnationaler Macht, der zu trauriger Berühmtheit gekommenen Troika ( Europäische Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds) aufdrängt, ist der, dass das Hauptziel dieser nicht enden wollenden Folge von Druck und Bedingungen die demütigende Niederlage der griechischen Bestrebung ist, einen minimalen Grad der Kontrolle über ihr eigenes Schicksal als politische Gemeinschaft zurückzugewinnen. Was von ihm gefordert wird ist eine Kapitulation auf ganzer Linie: Es genügt nicht der Sturz der Syriza Regierung, die die Kühnheit besaß sich zu widersetzen und auf die Demokratie zu setzen, zu einer Bürgerbefragung aufzurufen, die entscheiden sollte, welchen Kurs die Regierung einschlagen sollte um die Krise zu bewältigen. Im Einklang mit der schlimmsten autoritären Tradition Deutschlands, die ihren höchsten und abscheulichsten Punkt in den unheilvollen Jahren des Nazismus hatte, aber die sich im Laufe der Geschichte bei unzählichen Gelegenheiten offenbart hat. Das was Angela Merkel, ihre Kumpanen in der Regierung und die Banker, dene sie dienen, verfolgen, ist die Auferlegung einer erniedrigenden Kapitulation, die als präventive Warnung für alle anderen europäischen Völker dient, die auch von Schulden beeinträchtigt sind.
Man strebt nicht nur die Niederlage von Syriza an, sondern möchte auch sicher gehen, dass die Schande und die Schmach der rebellischen Griechen unauslöschbare Spuren hinterlassen, damit es niemandem mehr einfällt, die Befehle der Banker und der Politiker, die in ihrem Namen regieren, zu missachten. Vor allem da es einige europäische Staaten gibt, bei denen das Gewicht der Auslandsschulden auf das PIB sich dem annähert, das zum Ausbruch der griechischen Krise geführt hat. Wenn unter den Griechen das Verhältnis 177% beträgt so ist es bei Italien und Portugal 130%, 110% in Irland und 106% in Belgien mit den Vereinigten Staaten irgendwo dazwischen. Das ist kein wishful thinking. Der Kapitalismus steht vor schwierigen Problemen.
Mit ihrem schändlichen Kommuniqué werfen die europäischen Regierungen die demokratischen Illusionen und das Projekt eines definitiv versöhnten Europas über Bord, das nach einer blutigen Geschichte mit den Werten der Demokratie, der Gerechtigkeit und der Gleichheit, in einer Gemeinschaft unterschiedlicher aber solidarischer Nationen harmonisiert werden sollte, wie Robert Schumann, der Gründungsvater des Projekts und politische Führer wie Adenauer, de Gaulle und de Gasperi und so viele andere es sich erträumt hatten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Das, was jetzt zählt, das einzige, was jetzt zählt, ist die Rendite des Finanzkapitals und seine unersättliche Gier. Wenn man um diese zu erreichen Greichenland zerstören muss, dann soll das so sein. Deswegen spielt sich in Europa ein schändliches Schauspiel ab: es fallen die Masken, die auf die große humanistische und emanzipatorische Tradition der Aufklärung hinweisen und deutlich wird der pharisäische Charakter der kehligen Rhetorik des „Europas der Völlker und Nationen“, wie es so oft von den Bürokraten in Brüssel proklamiert wird.
An seiner Stelle erscheinen verachtenswerte Gesichter einer hemmungslosen Habsucht und eines grenzenlosen Geizes und eine Gruppe von ehrlosen Finanzministern und Staatschefs, für die Demokratie Fassade ist, die nur den Zweck erfüllt die Profitraten des großen Kapitals zu garantieren. Dies alles zu dem Taktstock von Angela Merkel, die eines der wenigen Länder Europas regiert, in denen nie eine Volksrevolution erfolgreich war. Alle wurden mit Blut und Feuer niedergeschlagen. Und außerdem eine, die es immer schaffte, ihre Schulden nicht zu begleichen und auch nicht ihre Reparationszahlungen zu leisten, die sie wegen kriegerischer Akte gegen Drittländer, wie Griechenland zum Beispiel, das noch immer darauf wartet, für die Zerstörungen und die unter der Nazi Besetzung im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schrecken entschädigt zu werden.
Deutschland ist es 1953 bei einer Konferenz der Westalliierten unter Führung der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs gelungen, dass man ihm 62,6% der Schulden erließ, die das damalige Westdeutschland seit Ende des Ersten Weltkriegs angesammelt hatte. Die Panik, die das Risiko einer möglichen Ansteckung mit dem „sowjetischen Virus“ erzeugte, war so groß, dass sie in der Lage war die hartgefrorenen Herzen der Banker und Regierungen jender Länder zu erweichen und das gewährt zu bekommen, was man im Falle der inzwischen verschwundenen UdSSR nicht einmal entfernt in Erwägung gezogen hatte.
Deutschland beendete die Zahlung der Umschuldung ein halbes Jahrhundert später, im Oktober 2010 in völligem Stillschweigen und ohne sich wegen der „Enteignung“ die die Gläubiger dadurch erlitten hatten zu sorgen, wie es das jetzt tut. Das steht in völligen Gegensatz zu der Empörung, die geäußert wurde, als jetzt eine ähnliche Konfiskation von Schulden die Unversehrtheit des mit Zähnen und Klauen von der Troika verteidigten Privateigentums bedroht. Wie viele Historiker feststellten war viel wichtiger als der Marshall Plan die Annullierung von zwei Dritteln der deutschen Auslandsschulden und das wäre das einzige, was Griechenland aus seiner Krise retten könnte. Das Problem ist, dass Berlin jetzt nicht bereit ist, die gleichen ethischen und politischen Prinzipien aufrechtzuerhalten, die ihm beim Ausgang des Zweiten Weltkriegs zugute kamen. Wie der finstere Shylock im Kaufmann von Venedig fordert es ein um das andere Mal mit teutonischer Sturheit, sein Pfund Fleisch. Auch wenn davon das Leben Griechenlands abhängt. Eine Tragödie, wie wir zu Anfang sagten. Aber keine griechische sondern eine deutsche. Das von Griechenland ist dagegen ein heroisches Epos.




