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Wiederherstellungsarbeiten nach dem Durchzug des Wirbelsturms Rafael durch die Provinz Artemisa im Provinzkrankenhaus Ciro Redondo  Photo: Jose M. Correa

Artemisa - Wissen Sie, was eine Intensivstation ist? Wenn Sie jemals dort waren, ob bei Bewusstsein oder nicht, haben Sie wahrscheinlich keine Angst vor einem Wirbelsturm. Weder vor einem Wirbelsturm noch vor irgendetwas anderem, denn solche Ängste sind nicht die der  Menschen, die dem Tod noch nicht so nahe sind.
Intensivstationen sind Orte, von denen man zurückkehrt, wenn man zurückkehrt, um seine Geschichten in einem anderen Ton zu erzählen, als hätte man bereits eine höhere Prüfung des Lebens bestanden.
Im Allgemeinen Lehrkrankenhaus Ciro Redondo in Artemisa war die Intensivstation einer der Bereiche, die am meisten unter dem Wirbelsturm Rafael zu leiden hatten. In diesem Fall könnte man von einem „Metadrama“ sprechen: Zum ersten Mal in seinem Bestehen spürte dieser Raum „leibhaftig“, was seine Patienten dort Tag für Tag erleben.
Das Leben ist ein Glas, das in der Luft zersplittert, sagen die alten Leute auf dem Land. In der Therapie von Artemisa geschah dies buchstäblich wenigstens teilweise, als der Orkan vorbeizog. Einige der Glasfenster hielten nicht stand, und als die Winde der Kategorie drei eindrangen, zerrissen sie die Zwischendecken und andere Dinge.
Doch die Spezialisten in Intensivstationen sind bereits mehr als versiert im Umgang mit den Grenzen: des Lebens, des Raums, .... Einige verlegten die wenigen Patienten, andere retteten die Geräte. Es war die oberste Etage. Keines der wichtigsten Dinge ging verloren.
Dies ist nicht nur die Geschichte des „Metadramas“, sondern auch die Geschichte des „Metasurvivals“. Wissen Sie, wie es auf der Intensivstation ist, wenn draußen und drinnen der Orkan tobt?
Heutzutage gibt es Menschen, die das wissen und die bald jedem, der ihnen begegnet,   lebhaft erzählen können, dass sie an dem Tag, an dem der Tod zu ihnen kam, einen Wirbelsturm zur Verstärkung herbeirufen mussten und sie trotzdem am Leben geblieben sind.
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Niurka sagt, dass sie nicht wirklich müde ist, dass das  Wort erschöpft es genauer treffe. Während wir sprechen, ist es Dienstagmittag, der 12. November 2024. Seit dem Durchzug des Hurrikans Rafael ist noch nicht einmal eine Woche vergangen. Sie leitet das Krankenhaus und ist Fachärztin für Psychiatrie. „Diese Nacht war schwierig“, erinnert sie sich leise, ihre Augen sind nicht sehr müde.
Neben der Intensivstation sei vor allem die Perinatalstation von den Stürmen betroffen gewesen, sagt sie. Jetzt arbeiten Brigaden aus verschiedenen Teilen des Landes an allem, „was der Wind weggeblasen hat“, aber an jenem Abend der schlimmen Ereignisse waren es die Patienten, ihre Angehörigen, die geblieben sind, um zu helfen, wo sie nur konnten, die diensthabenden Ärzte, Krankenschwestern und Techniker sowie der Vorstand des Krankenhauses.
Der Angriff des Zyklons war absehbar. Niurka erzählt, dass sie von überall und zu jeder Stunde angerufen wurde, weil man erfahren wollte, wie die Dinge stehen.
Mit den schwangeren Frauen passierten einige sehr merkwürdige Dinge, erinnert sie sich, angefangen beim Pflegepersonal. Dr. Abelino García zum Beispiel ist der Leiter des gynäkologisch-gastronomischen Dienstes. In früheren Jahren leitete er das gesamte Krankenhaus.
Niurka sagt, dass sie in diesem Moment glaubt, Abelino zu sehen, der seinen Schlafanzug bis zu den Knien hochgekrempelt hat, als wären es Shorts, damit er bei seinen ständigen Bewegungen von einer Seite zur anderen nicht durchnässt wird. Die Gänge waren voller Wasser.
Wenn es sich um ein Krankenhaus handelt und ein Wirbelsturm durchzieht, wissen Sie dann, wie es ist, kurz vor der Entbindung zu stehen? Wissen Sie, wie es ist, dafür verantwortlich zu sein, dass alles gut geht? Nun, Abelino weiß es, und er rannte wie besessen durch die flure mit seinen hochgezogenen Hosenbeinen.
Einmal, so erzählt Niurka weiter, drückte er kräftig gegen die Tür einer Kabine. Die Patienten hatten etwas dahinter gelegt, um sie einzuklemmen, und das machte ein bisschen Lärm. Abelino kam wie ein Kugelblitz herein, und die Patienten lachten, als sie ihn sahen, aber er lachte nicht, sondern fragte nur: „Geht es Ihnen gut? Dann machte er weiter .
Da war  ein ebenfalls schwangeres Mädchen, das mit leichtem Fieber eingeliefert worden war, als Vorsichtsmaßnahme. Niurka sagt, dass sie sie ein wenig sprechen hörte und bemerkte wegen ihres Akzents, dass sie nicht aus Artemisa kam.
-Ich bin aus San Antonio del Sur, in Guantánamo und vor ein paar Monaten hierher gekommen.
-Du bist dem einen Wirbelsturm entkommen, aber jetzt hat er dich hier erwischt, mein Mädchen. Es war deine Bestimmung in diesem Jahr 2024 direkt unter einem Wirbelsturm  dein Kind zu bekommen.
DIE AUSERWÄHLTE
Laut Niurka ist es normal, dass jeden Tag fünf oder sechs Babys im Krankenhaus geboren werden, manchmal auch gar keines, aber an jenem 6. November kamen mitten im Sturm elf Kinder auf die Welt. Um fast 19.00 Uhr wurde eines von ihnen geboren und sein Leben daran erinnert werden.  
Vielleicht wird ihn in einigen Jahren jemand von oben herab fragen, was er denn schon vom Leben wisse. Dann braucht er nur zu sagen:  -Ich bin Dylan Rafael, geboren 2024, 6. November, Artemisa, Kuba... und ein Wirbelsturm musste kommen und mich aus dem Bauch meiner Mutter ziehen. Also erzähle du mir nichts!