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Un poeta (Simón Mesa Soto, 2025), aus Kolumbien aus gezeichnet mit der Koralle für den besten Spielfilm Foto: FOTOGRAMM

Weit entfernt von jeglichen Anzeichen von Erschöpfung in dem Modell, das sie trägt (wie es beispielsweise bei einem Großteil des amerikanischen kommerziellen Kinos der Fall ist), zeugten die auf dem 46. Filmfestival von Havanna präsentierten Filme von einem Kino, dessen kreative Lebenskraft nachhallt, brodelt und Werke hervorbringt, die die filmische Tradition eines Kontinents mit neuen Erzählweisen verbinden.

 Dieses Kino, dessen Stärke, Poesie und tellurischen Spuren die noblen, die dunklen Geschichten und ie Geschichten des Glaubens eines Teils der Welt zeigt,  wo nationaler Stolz auf Verrat trifft, wo Realität mit Magie verschmilzt und wo die Flammen der Würde aus einer Vergangenheit lodern, die uns zwingt, nicht aufzugeben.

Mentoren wie Alfredo Guevara, Julio García Espinosa oder Tomás Gutiérrez Alea – die unser Kino, sein Wesen, seine Wege und Alternativen geprägt haben – wären stolz auf die Einzigartigkeit eines bedeutenden Teils dessen, was sowohl im offiziellen Wettbewerb als auch in anderen Sektionen gezeigt wurde, in denen ebenfalls bemerkenswerte Produktionen zu sehen waren.

Vor allem aber wäre Fidel besonders erfreut über die Entwicklung des kürzlich beendeten Festivals und die Vielfalt seines Programms gewesen. Von Beginn an hatte er sich für die Emanzipation der Kulturlandschaft zwischen Rio Grande und Patagonien eingesetzt, indem er ein tief verwurzeltes, identitätsstiftendes Kino förderte, das sich der hegemonialen Erzählung und ihrem Diskurs zur Legitimierung westlicher Werte entgegenstellte.

 In Havanna wurden herausragende Filme aus verschiedenen Ländern der Region gezeigt. Viele dieser Filme hatten vor ihrer Premiere in unserer Hauptstadt bereits auf den wichtigsten Filmfestivals der Welt große Beachtung gefunden und die Unterstützung renommierter Filmemacher und gefeierter Kritiker erhalten – und das völlig zu Recht.

 Die Nominierung eines Films für einen Oscar ist kein automatisches Qualitätsmerkmal – wie manche unkritisch annehmen. Sie mag zwar auf Qualität hindeuten, aber auch auf Konventionen, ein bestimmtes Schema, eine bestimmte Agenda und die aktuellen Umstände. Glücklicherweise hat das Filmfestival von Havanna zwei verdiente Kandidaten in der internationalen Kategorie ausgezeichnet: *Un poeta* und *La misteriosa mirada del flamenco*.

Das kontinentale Treffen im Dezember liefert vielfältige Anhaltspunkte: Einer davon ist, dass unsere Region weiterhin starke Merkmale des Autorenfilms aufweist, sowohl im Spielfilm als auch im Dokumentar- und Animationsfilm.

Persönlich verfolge ich und habe großen Respekt für einige dieser Filmemacher (Lucrecia Martel, Clarisa Navas, Albertina Carri, Gabriel Mascaro…), obwohl ich glaube, dass es keinen anderen wie den Brasilianer Kleber Mendonça Filho gibt, dessen Film *O agente secreto* (Der Geheimagent) mehrere bedeutende Auszeichnungen erhielt, jedoch nicht den Hauptpreis.

 Diese Künstler mit ihren unverwechselbaren Stilen und andere haben sensible und hochkomplexe Themen erforscht (und dies ist ein weiteres Beispiel dafür), ohne aufdringliche Erzählungen zu bemühen oder den Zuschauer zu belehren.

Sie haben dies durch Filme von dramatischer Intensität, bemerkenswerter schauspielerischer Bandbreite, bewundernswerter Formgenauigkeit und großer Freiheit in der Herangehensweise und Entwicklung ihrer Themen und Konflikte erreicht. *O último azul* (Das letzte Blau) ist ein Paradebeispiel dafür.

Glücklicherweise ist dieses didaktische Kino, das mitunter so viel Schaden angerichtet hat, einem neuen Medium gewichen, das den Wert von Allegorie und Andeutung durch vielschichtige Erzählungen sehr wohl zu schätzen weiß – fernab vom Vorhersehbaren oder Selbstoffenbaren der ersten Szene; ohne plumpe und simplifizierende Interpretationen.

  Ein weiteres wertvolles Merkmal des 46. Festivals war das Bestreben lateinamerikanischer Filmemacher, weiterhin Geschichten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in schwierigen Lebenslagen zu erzählen – eine regionale Tradition, die Filme von *Los Olvidados*- Die Veregessenen (Luis Buñuel, 1950) bis *Los Reyes del Mundo* - Die Könige der Welt -(Laura Mora Ortega, 2022) umfasst.

 Die Sektion „Erstlingswerke“ erwies sich als wahre Fundgrube für Werke mit Charakteren, die die neuen Generationen repräsentieren. Ihre Ängste, Träume und Sorgen werden in Filmen wie „Vanilla“, „Diese Insel“, „Der älteste Sohn“, „Die Hölle der Lebenden“, „Matapanki“, „Das Wesen des Unsichtbaren“, „Der geheimnisvolle Blick des Flamingos“, „Wenn wir nicht brennen“, „Wie man die Nacht erleuchtet“ und „Der Teufel raucht (und bewahrt die abgebrannten Streichholzköpfe in derselben Schachtel)“ erforscht.

Viele der Werke, die unsere Kinoleinwände eroberten, bestätigten Godards Maxime, dass jede Kamerabewegung eine moralische Entscheidung ist („Nora“, „Unser Land“, „Unter der Sonne“, „Bethlehem“). Ebenso Renoirs Behauptung, dass alle Charaktere aus ihren eigenen Gründen handeln („Ivy“, „Anonymer Neurotiker“, „Unterwegs“, „Himmlischer Körper“, „Die Tochter des Condor“), oder Kurosawas Überzeugung, dass die Kraft der Erinnerung die Kraft der Fantasie hervorbringt („Der Prinz von Nanawa“).

 Einige der für diese Filme entworfenen Figuren sind bemerkenswert fesselnd, höchst einzigartig und von Beginn des Drehbuchprozesses an akribisch ausgearbeitet. Sie distanzieren sich deutlich von Stereotypen und den abgedroschenen Charakterentwicklungen eines Drehbuchmodells, das von den heutigen Verbreitern des Bildes Unseres Amerikas längst überholt ist.

Diese Low-Budget-Kinos manipulierten den Zuschauer und schränkten seine stilistischen und erzählerischen Möglichkeiten ein – und damit auch die Entwicklung seiner Figuren – ein, um primär eine standardisierte Erzählung zu schaffen. Diese Erzählung legitimiert sowohl in ihren inhaltlichen Formen als auch in ihrer ideologischen Dimension die ästhetischen Prinzipien des Eindringlings.

 Im Gegensatz dazu präsentiert sich ein Großteil des in der kubanischen Hauptstadt gezeigten regionalen Kinos ohne Zwänge, seine Struktur wurzelt im moralischen Rahmen eines kritischen, antineokolonialen, freien, würdevollen und souveränen lateinamerikanischen Denkens.

 Daher die grundlegende Bedeutung des Filmfestivals; darin liegt der Schlüssel zu seinem Fortbestand als Raum für öffentliche Präsentation und Dialog zwischen Leinwand und Publikum – jenen, die seine Ausdrucksformen fördern und seiner künstlerischen und ideologischen Stimme den gebührenden Vorrang einräumen.

El príncipe de Nanawa (Clarisa Navas, 2025), argentiisch-paraguayische Koproduktion Koralle dür den Dokuemntarspielfilm Photo: FOTOGRAMM
Corazón de las tinieblas (Rogério Nunes, 2025), Brasilien erhielt die Koralle für den besten Animationsspielfilm Photo: FOTOGRAMM